Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit

Vortrag zum "PICTAday" in Nürnberg – Veröffentlicht im Magazin "Profi-Foto"

Im Vortrag vorgestellte Fotoarbeiten:Marc Räder, Joel Sternfeld, William Eggleston, Richard Misrach, Jeff Wall, Cindy Sherman, Peter Bialobrzeski, Andreas Gursky, Tina Barney, Philip-Lorca DiCorcia, Manit Sriwanichpoom, Xavier Ribas, Marcos López, Atta Kim, Juan Urrios, Andreas Gefeller, Sonja Braas, Mitra Tabrizian, Naoya Hatakeyama.

Wer von Bildern spricht sollte klären, welche Bilder er meint. Das fotografische Bild steht heute im Verbund mit digitalen Bildmitteln und der künstlerischen Fotografie. Wo es vor ein paar Jahren noch eindeutige Positionen zu den verschiedensten Fotosparten gab, hat der digital beförderte Medienmix ab den 2000er Jahren die Grenzen verwischt. Fotografien verkleinern die Welt bis zum Thumbnail und ihr Anspruch auf Wirklichkeit resultiert aus dem Glauben an das Modellhafte der Abbildungen. Nur die erlernte Logik der Bildbetrachtung ermöglicht Abstraktionen die vom Modell ins Wirkliche verweisen. Der Kontext, bzw. die Modelle, in denen Bilder interpretationsfähig werden, wird die folgenden Ausführungen bestimmen. Bildmodelle stellen Fragen und provozieren Antworten. Fotografien die keine Fragen stellen oder Antworten provozieren, verbleiben in der Abteilung Dekoration und Illustration. Das Modellhafte in Fotografien wird deutlich durch individuelle Bildsprachen, die in einem spezifischen Kontext lesbar werden. Ob das gelingt, entwickelt sich aus der Interpretationsfähigkeit des Bild-Modells. Der beliebte und beliebige Fluchtweg, dass Fotografien Geschmacksache sind, wird durch ein schlüssiges Bildmodell verbaut. Wirklichkeit ist eine Behauptung, der Konsens dazu liegt in der Mitte, also dort, wo diese, als eine Fiktion individueller Wahrnehmung verstanden wird: „Als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende“(2.Kor.5,7).


Im Folgenden geht es um Tendenzen in analogen und generierten Bildsprachen. Der Begriff der digitalen Fotografie wird hier nur einmal benutzt mit dem Hinweis, dass es diese nicht gibt. Unglücklicherweise hat sich dieser Begriff jedoch im Sprachgebrauch durchgesetzt. Richtig ist, dass Fotografie Analogie voraussetzt. Es besteht im Moment der Aufnahme Analogie zwischen Objektpunkt und Bildpunkt. Die finale Benennung des Bildproduktes wird von den Bildträgern und ihrer Weiterverarbeitung entschieden. (Film, Video, Chip als Träger, Schnitt, Print, Composing in der Verarbeitung). Das scheint nach Haarspalterei zu klingen, ist es aber nicht. Analogie fixiert den Wesenszug und die Ursache dessen, was ein Foto ausmacht - den authentischen Moment der Bildentstehung. Also der Moment, in dem das Foto, in einem einzigen Vorgang, der Realität entnommen wird. Die  Zukunft der virtuellen Bildträger hat längst begonnen. Sie bleibt jedoch immer noch ohne Verweis auf den Entstehungsbezug, oder ein Original. Deswegen wird der Analogie fotografischer Bildentstehung eine besondere Wertigkeit zukommen, weil sie der einzige Verweis auf das Authentische ist. Analogie und Authentizität verorten das Foto in der Zeit, als Dokument von etwas Gewesenem. Walter Benjamin hat die Essenz des Authentischen durch „Spur und Aura“ definiert: „Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“

Je deutlicher Individuen in westlich organisierten Gesellschaften den Verlust des Authentischen verspüren, desto stärker wird ihre Sehnsucht danach. Um so intensiver werden die Anstrengungen und Versuchungen, Bildmodelle als Wirklichkeiten zu interpretieren. Denn die Möglichkeit der Interpretation hebt Fotografien über ihren alltäglichen Nutzwert hinaus und unterscheidet sie so von schnelllebigen Konsumprodukten. <<Anfang. Hier folgt die Stelle, die du präzisieren musst, um dir nicht selbst zu widersprechen!>>Die Sehnsucht nach Glaubwürdigkeit und Orientierung durch Bilder ist nicht nur ein Phänomen der Religionen, sondern entspricht einem Urbedürfnis des Menschen. (Seinen eigenen Augen trauen.) <<Ende>>Inhaltliche Bezüge und deren atmosphärische Visualisierung erleichtern die Orientierung und fördern Assoziationen über das Bild hinaus. Siegfried Krakauer hat 1920 Jahren ein gutes Bild so definiert, dass ein Foto seinem Medium nur dann die Treue hält, wenn es den Gedanken an Vollständigkeit ausschliesst, und Inhalte innerhalb des Rahmens, auf Inhalte ausserhalb des Rahmens verweisen. Seit den 1990er Jahren verschwindet dieser Rahmen zu Gunsten amorpher, sich undeutlich schichtender Bildflächen. Lineares Denken und Sehen, seit der Renaissance etabliert, verändert sich zur Wahrnehmung visueller Koordinatensysteme. Gleichzeitigkeiten medialer Räume überlagern die klassischen Illusionen der dritten Dimension des Fotos. In der berauschenden Startphase des Crossover in den 1990er Jahren- es  wurde um die Wette kopiert, gesamplet, geklaut, zitiert, montiert, überspielt- verbinden sich fotografische Sehweisen und hybride Endprodukte zu chimärenhaften Abbildungen. Eigenständige Bildwelten werden recherchiert, modelliert, nachgebaut, fotografiert und neu composed. Hybride Bild-Modelle komputieren die Welt, um sie neu zu generieren. In diesen modellhaft strukturierten Bildwelten rückte das Genre authentischer Bilderfindungen in den Hintergrund zu Gunsten kalkulierter Bild-Erfindungen. Bildbetrachter scheinen mit dem Gesehenen in irgendeiner Weise mehr und mehr vertraut. Sie sind sozusagen im Bilde. Für Hugo Lasalle war das Bild, das die Menschen von sich selbst haben, auch eine Vision, nach der sie ihre Zukunft gestalten wollten.
Bildmodelle gleich welcher Art vermitteln Visionen, Orientierung und Sehnsucht zugleich, so lange sie in ihrem Kontext schlüssig erscheinen. Sich ein Bild von etwas machen, ein Bild von sich haben, im Bilde zu sein, sind Redensarten, die das Verhältnis des westlich geprägten Menschen zum Bild, mehr als nur andeuten. MTV-geprägte Skateboard-Punks bewegen sich bildorientiert und bildbewusst auf modisch inszenierten Antikriegsdemos. Körperbilder, Bildkörper-Events, gehen einher mit dem digitalen Feedback auf Miniscreens und dem Zugriff in die weite Welt fotografischer Bilder. In Realtime erstellte und konsumierte Fotos, projezieren den vergangenen Moment in die Gegenwart.<<Machen das nicht alle Fotografien? "Es war gewesen…">> Der (vermeintliche) Respekt und die Distanz, zu dem Kasten, der „dunklen Kammer“  aus der „ein Vögelchen herauskommt“, sind bereits verschwunden. Die MTV- und Bildtelefongeneration schaut schon heute Bilder nicht mehr nur an, sondern begibt sich in die Bilder hinein. Bilder verändern den Blick auf Bilder und auf sich selbst. Menschen werden zu dem, was sie sehen. Evozierte Aufmerksamkeiten für Bildflächen vermischen sich mit ästhetisch aufgeblasenen Oberflächen. Ein Ergebnis des Wettbewerbs um die Aufmerksamkeit der Oberflächen ist die Klage über die Bilderflut.

Der Begriff "Bilderflut" wird in der Medienreflektion der letzten Jahre immer wieder ins Feld geführt. Verbunden damit scheint wohl das Unbehagen oder auch die Hilflosigkeit, über den revolutionären Wandel in der Bildproduktion und der veränderten Nutzung des Mediums. Die griffige Verkürzung Bilderflut, für den seit einigen Jahren komplexeren Umgang mit Fotografien und technischen Bildern, wird den tatsächlichen Veränderungen der Bildmedien nicht gerecht. Wer also unter einer Bilderflut leidet, kann zu jeder Zeit seinen TV abschalten, illustrierte Magazine und Internetportale gegen ein Buch, oder eine Zeitung tauschen. Bilder im öffentlichen Raum, von wenigen Ausnahmen abgesehen, schweben ohnehin als buntes Rauschen an den Augen vorbei. Was sich jedoch wirklich verändert hat in der Bilderwelt, sind die Schnittstellen mit anderen Medien, deren Verfügbarkeit und interaktive Präsenz. Die Anforderungen und Möglichkeiten, im Umgang und Nutzung jeglicher Art von Bildern, sind in wenigen Jahren ins Unendliche gesteigert worden. Bildermacher und Bildernutzer werden intensiver und weitreichender in einen vielseitigen Bildprozess einbezogen. Gegen das Spektrum generierter, virtueller Bilderwelten, erscheinen das Fotoalbum und der Foto-Schuhkarton als visuelle „Volksempfänger“. Doch immerhin bezeugen die Bilder im Schuhkarton haptisch die Anwesenheit der Spuren verschiedenster Wirklichkeiten. Das Verschwinden der Bilder in virtuellen Räumen dagegen, (bzw. virtuellen Schuhkartons), wird die Gedanken an eine Bilderflut in wenigen Jahren obsolet erscheinen lassen. Statt der Bilderflut werden das Verschwinden der Bilder und deren Wirklichkeiten ein Thema der Zukunft. Schon an diesen thesenhaft verkürzten Phänomenen neuer Bildtechniken und Bildwelten wird deutlich, dass Vielfalt und Komplexität häufig mit Bilderflut verwechselt werden. Bekanntlich liegt der Wert eines Bildes in seinem Gebrauch. Bei digitalen Bildern kommt der Wert schneller Verfügbarkeit hinzu. Besonders generierte Bildwerke sind so gestaltet, dass sie in möglichst kurzer Zeit dechiffriert und unmittelbar konsumiert werden können.

Perfektion und Fremdheit technisch geprägter Farbgebung in Fotografien, die ohne Beschränkungen des Blicks durch das menschliche Auge entstanden sind, wirken in ihrer Anmutung häufig hyperreal oder synthetisch. Lev Manovich schreibt über das synthetische Bild: „Aus der Perspektive des menschlichen Blicks ist es hyperreal, und dennoch ist es völlig realistisch. Es ist einfach das Ergebnis eines anderen Sehvermögens, das perfekter als das Menschliche ist.“
Die heutige Wahrnehmung und Akzeptanz farbiger Bilder wurde über Jahrzehnte von der Farbigkeit des Films geprägt. Entsprechend finden sich in zeitgenössischen Bildmodellen Farbigkeiten, die als „filmisch“ weil unwirklich, akzeptiert werden. Hier ist nicht der Ort, um über die Farbe in der Fotografie nachzudenken. Bisher liegen auch keine theoretischen Überlegungen über Farbigkeiten und technische Farbphänomene in der Fotografie vor. Die Farbe in fotografischen Bildern wurde spät, erst mit der Einführung des Farbfernsehens (1968 in Deutschland), zu einem Gestaltungsmittel der Fotografie. Seitdem hat sich der bewusste und teilweise technisch überlagerte Umgang mit Farbfotografien in verschiedensten Bildmodellen weiterentwickelt. Nicht die möglichst „getreue“ Wiedergabe, sondern eine Art Erinnerungs-Echo der als wirklich interpretierten Farbigkeit, bestimmen fotografische Bildsprachen. <<Vielleicht noch ein, zwei Sätze zum Thema Color Management, bei dem es gerade um die "getreue Reproduktion" geht?>> Neue Farbigkeiten, entstanden durch diverse Belichtungstechniken und damit verbundene Farbphänomene, erweiterten das Sehen des menschlichen Auges. Das synthetische Sehen benennt die Akzeptanz von Farben, Licht, und Raumillusion, die über die physische Wahrnehmung der Netzhaut hinausgeht. Die dazu notwendige Logik der Wiedererkennung entstand durch Medienpräsenz, Mode und erlernte Wahrnehmungsmodelle. Bildwelten vom Fresco über den schwarz/weißen Fine-Art-Print bis hin zur Diasec-Präsentation, sind westlichen Menschen vertraut. Über die individuellen Entscheidungen hinaus (Bildsprachen, Lichtwahl), bewirken chemisch- analoge Verfahren (z.B. Crossen, Infrarotfilm, Farbverschiebungen bei Langzeitbelichtungen), die stilistische Verfremdung der Wiedergabe. Natürlich gibt es im Farbsehen kein falsch oder richtig, wie Null oder Eins im digitalen Datenmodus. Schon einfachste Stimmungsbilder aus Reisemagazinen lassen sich vor Ort kaum wiederfinden. Die Frage nach richtig oder falsch in Farbfotografien kann nur in einem erkennbaren Bildmodell schlüssig beantwortet werden.

Als Gegensatz zu Fotoarbeiten, in denen surreale Farbigkeiten inhaltsbestimmend erscheinen, sei hier auf Arbeiten von Joel Sternfeld verwiesen. In „American Prospects“ zum Beispiel, ordnet sich die Farbigkeit in den authentischen Moment seines Bildausschnittes ein, ohne zum Selbstzweck zu werden. In William Egglestons elegisch spröden, weichen Farbigkeiten, verbindet sich das was zu sehen ist, scheinbar mit dem was sich fühlen lässt. Egglestons Bilder evozieren eindeutig fiktive Wirklichkeiten. Der Filmemacher J.L. Godard beschreibt das Bildmodell der Fiktion als den Moment der Kommunikation, in dem das „Beweisstück“ akzeptiert wird. Zitat J.L.Godard: „Der Blick macht die Fiktion. Aber die Fiktion ist genauso real, wie das Dokument. Sie ist nur ein anderer Moment von Realität.“ Glaubwürdige Bildmodelle in der Farbfotografie entstehen in der Erkennbarkeit und Transparenz der Absicht. Transparenz beschreibt die eigene Leuchtkraft der Bilder, die sich gegenseitig referieren. Ob das mit digitalen Bildmitteln geschieht oder nicht, ist für den Ausdruck, die Botschaft unerheblich. Denn nicht das Leben und die Wirklichkeit sind digital, sondern die Bildtechniken. Farbige Bildsprachen als Hyperrealitäten vermischen sich mit filmischen Inszenierungen. Eingebrannte Einzelbilder werden abgelöst durch filmisch farbige Sequenzen, (z.B. eine Landschaft wie in der Toskana). Filmische Bildsprachen entstehen im Kopf des Betrachters durch die scheinbare Gleichzeitigkeit der Ereignisse.
Philip-Lorca diCorcia thematisierte in den 1990er Jahren filmisch wirkende Fotoinszenierungen im öffentlichen Raum. Die bizarren Situationen seiner Bilder korrespondieren zwischen der Urbanität des Raumes und dramatisierter Künstlichkeit. In den Auftragsarbeiten „Cuba Libre“ und „Stranger than Paradise“ (2000), verbinden sich filmische Farbigkeiten mit Symbolen und Zitaten in hyperrealen Situationen, die an Composings denken lassen. In seinen Arbeiten verdichten sich die für die 1990er Jahre typischen Inszenierungen, Zitate und Farbgebungen. Überschneidungen zwischen Kunst- und kommerzieller Fotografie, Zitate aus der Kunst- und Fotogeschichte als Bildmodelle sind im Trend. Zum Beispiel verwendeten Sugimoto, Cindy Sherman und Jeff Wall in den 1980/90er Jahren in ihren fotografischen Arbeiten Zitate aus der Malerei. Bildzitate im Kopf prägen fotografische Sehweisen, ob als Wirklichkeitsmodell, oder unbewusst.

Die Organisation und Digitalisierung alltäglicher Abläufe überschneiden sich mit dem digitalen Workflow der Bildproduktion. Darin wird die Fotografie zu einem alltäglichen Gegenstand der Spekulation mit Kommunikation. Sie wird befreit von dogmatischen Werten wie „Platzhalter der Erinnerung“, „Melancholie des Vergehens“ oder „Deutung der Welt“. Der bereits erwähnte Trend zu Bildmodellen verweist mehr auf die Reflektion einer Wirklichkeit, als auf deren Reproduktion. Die aktuellen Weiterentwicklungen fotografischer Bildsprachen finden ihren Ausgangspunkt in den spekulativen Sehweisen der Bildstrategien und fotokünstlerischen Ambitionen. H.-G. Gadamer hat den Begriff des Spekulativen beschrieben als „...den Gegensatz zum Dogmatismus der alltäglichen Erfahrungen“. „Spekulativ ist jemand, der sich nicht unmittelbar der Handfestigkeit der Erscheinung in seiner fixierten Bestimmtheit überlässt, sondern zu reflektieren weiss“. In spekulativen Bildmodellen wird das absichtliche Sehen dem abbildenden Sehen vorgezogen. So können Zitate in der Fotografie darauf abzielen, dass Betrachter die Bilder optisch oder synoptisch abgespeichert haben. Auf dieser Basis spekulieren authentische oder generierte Bilder mit der Wahrnehmungslogik der Betrachter. „Jedes Bild ist auch ein logisches. Das logische Bild kann die Welt abbilden. Wir könnten nämlich von einer unlogischen Welt nicht sagen, wie sie aussähe.“ (Ludwig Wittgenstein, von dem auch der Titel dieses Beitrags stammt.) Die bereits erwähnte Sichtbarkeit der Bildidee bestätigt sich selbst innerhalb eines logischen Modells. Wer also seine Bildideen in einen ästhetischen Rahmen stellt, macht sie so unwiderlegbar.
Alles was einen Rahmen hat, ist ein Bild. Das trifft bei Jeff Wall nur bedingt zu. Walls Bilder erinnern an die Zeit der Bilder ohne Rahmen, den Panoramen, die begehbar wirkten und durch ihre Präsenz die Betrachter aufforderten, sich ins Bild zu begeben. Leuchtdisplays werden zu seinen bevorzugten Bildträgern. Aufgrund ihrer Grösse und Präsentation entfalten diese Bilder ihre Wirkung nur im  Original. Es ist ein interessanter Gedanke, dass digitale Bildmittel, einerseits Bilder ohne das fotografische Original eines Negativs oder Dias herstellen können, andererseits aber Bildgrössen und Art der Präsentation die Bildwerke in museal präsentierbare Originale verwandeln. Der Ursprung des fotografischen Bildes (das Originalnegativ), scheint keine Rolle mehr zu spielen. Walls Bilder wirken wie eine Darstellung der Darstellung.
Wenn Jeff Walls Bildwerke die Betrachter auffordern, sich ins Bild hineinzubegeben, ist das (trotz teilweise vergleichbarer Riesenformate der Bilder) bei Andreas Gursky genau umgekehrt. Andreas Gurskys Modell der „Neuen Sachlichkeit“ stellt gängigen fotografischen Beschreibungen bzw. Abbildungen ästhetische Bildfindungen gegenüber. Das „Neue Sehen“, besonders die konstruktivistische Sehweise der 1920 Jahre, spiegelt sich in seinen Arbeiten wieder. In Gurskys Bildkonzeptionen werden unvorhergesehene Erscheinungen der Fotografie eliminiert bzw. domestiziert. Elemente analoger Bilderstellung und fiktive bildliche Option verbinden sich zu einer eigenen Bildsprache. Seine modellhaft wirkenden Wirklichkeiten lassen digitale Bildmittel niemals zum Bildinhalt werden. Analoge Bilder-Findungen vermischen sich mit Bild-Erfindungen. Seine Wirklichkeiten sind als Modell erkennbar und werden so zu einer Wirklichkeit der Bilder.

Tendenzen aktueller Bildsprachen, bzw. der modellhafte Umgang mit Bildern gleichen einem „work in progress“. Der junge Fotograf Andreas Gefeller zum Beispiel konstruierte in seiner Arbeit „SuperVisons“ aus hunderten der Realität entnommenen Kleinbildaufnahmen, (aus einem Abstand von ca. zwei Metern zum Objekt erstellt) so noch nie dagewesene Bilder. Sein Verzicht auf die klassischen Bildmittel, (Raum, Licht, Perspektive) kommt als Vision der Moderne des dritten Jahrtausends daher. Gefeller hat sich in dieser Arbeit vom klassischen Bildkonzept des raumorientierten Sehens verabschiedet und greift damit eine Vision der Konstruktivisten aus den 1920er Jahren wieder auf. 
In der Arbeit „Forces“ der Fotografin Sonja Braas kumulieren die hier erwähnten Tendenzen zeitgenössischer Fotografie:
1. Eindeutige Zitate bzw. Bezüge zur Kunst des Tafelbildes. (Der immer wieder gerne zitierte Caspar David lässt grüssen).
2. Mit selbstgebauten Modellen produziert und inszeniert sie einen Teil dieser Fotoarbeit, (Steropur, gemalte Hintergünde) als Bildwirklichkeit.
3. Betrachter werden verunsichert, indem Sonja Braas mit der Kamera analog/authentisch vor Ort (in den Bergen) fotografierte Bilder, mit ihren Studiomodellen vermischt.
4. Die Frage nach generativen Bildmitteln wird evoziert.
5. Sie liefert gleichzeitig auch die Antwort: Es ist unwichtig ob generiert oder nicht, wenn der Kontext stimmt. Weil der Kontext in dem eine Arbeit gezeigt wird, auf die Logik verweist mit der sie betrachtet werden soll.
6. Modellhafte, authentisch wirkende Bildwelten werden durch bewusst eingebrachte Irritationen als Fiktion entlarvt.
7. In der direkten Betrachtung der Bilder mit dem Format 170x150 wird das Bild an der Wand, ohne Rückbezug zum Original, zur Museumskunst. (Gursky, Wall, Ruff, Struth, Hütte haben das mit Erfolg durchgesetzt.)
Wie werden sich Bildsprachen durch die alltägliche Verwendung generativer Bildtechniken zwischen Ideologie und Tradition entwickeln?
Für die zukünftige Präsenz digitaler Bildmittel in angewandten Fotografien (Editorial und Werbung), werden fotografische Bilder zu Provisorien bzw. Basismodellen, eines digitalen Workflows. Ihr Wert misst sich nach dem Zugriff, den sie ermöglichen. Die Ästhetik des Videos wird, wie in der Vergangenheit der Film, neue Bildsprachen und Ästhetiken der Foto-Bildtechnik entscheidend prägen. Das Bildmodell wird in einem sehr atmosphärischen Sinne  der „westlichen Sehweise“ (Zentralperspektive) verbunden bleiben. Sicher ist,  dass die Menschen nicht auf abstrakte oder illustrative Composings warten. Ihre Sehnsucht nach Wirklichkeit und Glaubwürdigkeit braucht so etwas wie Komplizenschaft mit dem Bild, sie braucht eine Sprache, die Wirklichkeit anspricht, statt nur sich selbst.
Die Ideologie digital generierter Bildwelten bezieht zur Zeit noch ihre Rolle aus dem scheinbaren Abstand, den sie zwischen sich und der traditionellen Fotografie herstellt. Eine Art Überlegenheitsgefühl technischer Intelligenzen, korrespondiert mit den sozialen und geistigen Traditionen des herkömmlichen Fotos. Es scheint, als würde die Fotografie der Zukunft sich jenseits ihrer bis dahin gültigen Grenzen neu erfinden. Das was man vor ein paar Jahren noch als Subjektivität, oder Emotion beschrieb, könnte dann als Fähigkeit übersetzt werden, die (Meta)-Zeichen einer elektronischen Welt aufzusaugen. Doch Entwicklungen verlaufen bekanntlich nicht linear.
In den 1960er Jahren entwickelte Marshall McLuhan seine Vision des „Global Village“, die heute längst Wirklichkeit geworden ist. Als ein Vordenker des elektronisch digitalen Zeitalters, setzte er dabei auf die Gleichzeitigkeit verschiedener Perspektiven, auch auf die Gefahr des Widerspruchs hin. Seine Thesen eines vielseitigen nichtlinearen Wahrnehmungsapparates gehen konform mit dem aktuellen Medienmix. Zitat McLuhan: „Das Wechselspiel der Aspekte kann Einsichten oder Entdeckungen erzeugen. Im Gegensatz dazu liefert ein Standpunkt nur eine Ansicht. Eine Einsicht aber ist das jähe Bewusstwerden eines komplexen interaktiven Prozesses.“Eine visionäre Botschaft für die Chancen und Einsichten analoger und digitaler Bildmodelle. „The medium is the message!“

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