Bewusst oder unbewusst, Selbstbilder oder Fremdbilder, wir sehen und fühlen mit den Sprachen der Bilder. Das Buch «Fotokaraoke» schaut auf diese Sprachen, mit deren Begriffen, Emotionen und Erwartungen wir uns in eigenen und fremden Bildwelten bewegen.
Wir sehen, was wir sehen
Wenn ein blind geborener Mensch plötzlich sehend würde, was könnte er dann sehen? Wäre es ihm möglich, all das, was er über Sprachen, Gerüche, Vibrationen, Klänge, Tasten und Berühren wahrgenommen hat, zu verknüpfen mit dem, was er jetzt sieht? Könnte er mit seinen Augen eine Welt wahrnehmen, die er nie zuvor gesehen hat? Das ist im ersten Blick für die Sehenden genauso schwer vorstellbar wie der Gedanke, dass vor noch nicht langer Zeit, Menschen ohne fototechnische Bilder gelebt haben.
Wir sehen die Wirklichkeit über Erinnerungen an Bilder, von denen wir annehmen, dass sie unsere Wirklichkeit zeigen. Zwischen diesen Paradoxa entsteht ein Fotokaraoke der Bilder, in dem wir die Darsteller sind. Darum geht es in diesem Buch: Um Wahrnehmungen innerer und äußerer Bilder, die unser Leben bestimmen.
Im gleichnamigen Mythos wird Narziss als ein Mensch dargestellt, der nicht genug davon bekommen kann, seine Schönheit im Spiegel des Wassers zu betrachten. Er verfällt dem Trugbild seiner Selbstverliebtheit und stirbt darüber an gebrochenem Herzen. Vielleicht sind auch die Herzen der Menschen gebrochen, die in narzisstisch geprägten Moden und deren Körperkulten versuchen, ihr Inneres nach außen zu kehren. Mit Körpern als Bildträger, die sich selbst zum Bild gestalten. Mit Bildern, die neue Bilder generieren. Fotos, Symbole, Schriften, Zeichen, Texte, Metalldekor auf Haut und Kleidung belegen den Anspruch, wie Narziss zuerst seinem Spiegelbild zu genügen. Modische Strömungen der letzten Jahre gehen weit über das selbstverliebte Spiegelbild des Narziss hinaus. In einen Körperkult, der in seiner Lautstärke wie ein Hilferuf aus der Anonymität erschallt. Dekors auf Haut und Kleidung werden als individuelle Lebensbezeugungen präsentiert, die sich in sprachlosen Gemeinschaften öffentlicher Bildträger verbinden.
Weil Leben mit In-Form-Sein, mit Bewegung der Form zu tun hat, simuliert das Echo der Körperbilder eine Ästhetik, in der die Leere der Form zum Inhalt ihrer selbst wird. Das Herzeigen des Körpers, sinkende Schamgrenzen (in Öffentlichkeit und TV-Shows), das Verschwinden der Grenzen zur Intimität verweisen auf Oberflächen und Formen des Menschseins, die sich als Bild im Bild und dessen Abbild permanent reproduzieren.
Die einfache und schnelle Machbarkeit der „Selfies“ scheint die Selbstverliebtheit in die eigenen Bilder zu fördern. Dabei geht es offensichtlich nicht um ein imaginäres Schönheitsideal, sondern um das Echo einer Symbolik dafür, sich in einem Bild der Zeit zu bewegen. Es geht um das Bemühen, sich selbst als Bild zu inszenieren, um die Sehnsucht, sein eigenes Bild der Individualität und Einmaligkeit zu erfüllen. Wie die Nymphe Echo, die nur Worte des Narziss wiederholen und ihn doch nicht erreichen konnte. Sie verzehrte sich vor Sehnsucht, bis ihr Körper nur noch aus Schall bestand. ...weiterlesen im eBook "Von Bildern und Menschen"
Wenn die Maske zum Gesicht wird
Freude, Liebe, Eros, Zuwendung, Ablehnung. Die Facetten meines Gesichtes rufen nach Schutz vor den Blicken anderer. Ich habe ja mein Gesicht weniger für mich, sondern mehr für die, die mich anschauen. Ich kann mich nicht davor schützen, dass andere meine Mienen, Masken und Blicke bewerten. Mein Blick in den Spiegel steht unter der Prämisse zu genügen, einer Fiktion, einem Ideal gerecht zu werden. Doch es geht um viel mehr. Ein Blick kann Rollen und Positionen zuweisen und so denjenigen verändern, der angeschaut wird. Ambivalente Blicke beeinflussen mein Verhalten. Ob bewusst oder unbewusst. (...) Identität ist nicht verhandelbar. Unter Identität verstehe ich das, was in mir ein Leben lang gleich bleibt. Meine Maske der Identität steht dazu als Ergebnis eines individuellen Selbstkonzeptes. Wenn ich mein Leben hinter der Maske bewusst erleben will, bewege ich mich in einer Parallelwelt. In einer Welt, die im Gegensatz zu konstruierten Normen steht, in denen Masken erst notwendig werden. Hinter ihnen verstecken sich häufig Ängste vor der Leidenschaft zu leben. Manchmal entsteht eine heimliche Furcht, im Blick der anderen zu verschwinden, wenn die eigene Maske fällt....weiterlesen im eBook "Von Bildern und Menschen"
Pose und Selbstbestimmung Von einem «gelungenen Porträt» wird erwartet, dass es Charakter, interpretierbare Tiefen, gekonnte Inszenierungen zeigt. Das Posieren vor der Kamera wird in der Regel als etwas Künstliches und daher wenig Glaubwürdiges angesehen. Dabei zeigt ein Mensch, der eine Pose einnimmt, entweder das Bild, das er von sich selbst hat, oder er versucht einer Bildidee gerecht zu werden. Was soll also an einer Pose künstlich sein, wenn ein Mensch sich seiner idealen Bildvorstellung gemäß in Szene setzt? Wenn es in fotografischen Porträts auf etwas ankommt, dann auf das Selbstverständnis der Abgebildeten. Je direkter sich jemand mitteilt, ob mit oder ohne Pose, desto mehr können Fotograf und Betrachter über den Abgebildeten, über sich selbst etwas erfahren, allein schon deshalb, weil die Posen des Abgebildeten die von ihm «autorisierten Bilder» zeigen.
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Selbstporträt – Begegnungen mit dem Fremden in uns In Selbstporträts können Blicke fixiert werden, mit denen wir uns selbst so anschauen können, wie es allen anderen Menschen verwehrt ist. Das tägliche Gesicht für die Welt da draußen verbirgt je nach Rollen und Anforderungen, Wesenszüge der Identität, Gefühle und Haltungen. Selbstbilder verbinden sich mit (Fremd-)Bildern, die wir erfüllen wollen in der Annahme, dass andere sie von uns erwarten, weil wir uns über Bilder definieren, die uns zeigen sollen, wie wir meinen zu sein oder gerne sein würden. Das Absurde daran ist, dass wir Bilder, die sich andere von uns machen, nicht wirklich kennen, nicht kontrollieren können und trotzdem versuchen, ihnen gerecht zu werden.
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